Über Grenzen im Internet

Ein Blick auf den European Accessibility Act (EAA)

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Während die EU an vielen Stellen wieder Zäune errichtet, versucht sie zumindest im digitalen Raum Grenzen zu reduzieren. Im Jahr 2020 hatte unsere ehemalige Kollegin Franca bereits ein Essay zu diesem Thema verfasst. Zeit für ein Update.

Viel ist hier seitdem passiert. Auch findet dieser Aspekt in Projekt-Anfragen schon oft Berücksichtigung. Um jedoch nahezu allen Nutzenden Teilhabe zu ermöglichen, reicht scheinbar Freiwilligkeit allein nicht aus, weshalb die Europäische Union den European Accessibility Act (EAA) verabschiedet hat, der von den Mitgliedsstaaten umgesetzt und überwacht wird.

Letztendlich liegt die Umsetzung bei den Unternehmen und Website-Betreibenden, aber natürlich auch bei den Agenturen, die diese Website gestalten und technisch aufbauen. Doch wer ist konkret betroffen und welche Pflichten sollen angewandt werden? Wir möchten einen kurzen Überblick geben, der alles etwas besser einordnen soll.

Ein Punkt vorab. Die Umsetzung ist keine Gängelung oder Maßnahme zu Förderung von Digitalunternehmen. Von der Gesamtheit an Menschen die in der EU leben, haben 20% eine motorische, sensorische, kognitive oder psychische Einschränkung. Wie Franca in ihrem Essay aufgezeigt hat, ist ein erheblicher Anteil an Menschen mit diesen Einschränkungen regelmäßig im Internet aktiv. In der gesamten EU sind dies laut Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat aus dem Jahr 2021 etwa 75%.

Der beschlossene European Accessibility Act (EAA) 2025 hat erhebliche Auswirkungen auf Website-Betreiber als auch Agenturen, die Websites erstellen, da er bestimmte Anforderungen an die Barrierefreiheit von digitalen Angeboten, einschließlich Webseiten, vorschreibt. Nachfolgend möchten wir die wichtigsten Implikationen einmal aufzeigen.

Verpflichtung zur Barrierefreiheit

Websites müssen bis Juni 2025 barrierefrei sein, was bedeutet, dass sie für Menschen mit Behinderungen (*1) zugänglich sein müssen. Dies betrifft insbesondere:

  1. Öffentliche Websites (von Behörden, staatlichen Institutionen usw.), die bereits durch die EU-Webseiten-Richtlinie abgedeckt sind, und
  2. Private Websites (z. B. E-Commerce-Websites, Finanzdienstleister, Online-Reisedienstleister), die durch den European Accessibility Act nun ebenfalls in die Pflicht genommen werden.

Alles mit dem Ziel, dass Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen problemlos auf Informationen und Dienste zugreifen können.

Web-Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1

Die technische Grundlage für die Barrierefreiheit von Websites sind die Web-Content Accessibility Guidelines (WCAG), insbesondere die Version 2.1 Level AA. Diese Richtlinien legen fest, wie Websites gestaltet sein müssen, um für alle Benutzer zugänglich zu sein. Wichtige Anforderungen aus diesen Richtlinien sind:

  1. Textalternativen für Nicht-Text-Inhalte (z. B. Alt-Texte für Bilder),
  2. Untertitel und Transkriptionen für Audio- und Video-Inhalte,
  3. Tastaturbedienbarkeit der Website (keine ausschließliche Bedienung per Maus),
  4. Anpassbare Schriftgrößen und Kontraste für Nutzer mit Sehbehinderungen,
  5. Klare Struktur (z. B. durch korrekt verwendete Überschriften) und verständliche Sprache.

Überprüfung und Einhaltung

Agenturen, die Websites erstellen, müssen sicherstellen, dass sie die Barrierefreiheitsanforderungen bereits in den Design- und Entwicklungsprozess integrieren. Beispielhaft wären das folgende Schritte:

  • Audit von bestehenden Websites: Website-Betreiber müssen ihre bestehenden Seiten überprüfen und eventuell anpassen, um die Vorgaben zu erfüllen.
  • Barrierefreie Entwicklung: Agenturen müssen sicherstellen, dass alle neuen Websites nach den WCAG-Standards entwickelt werden.
  • Regelmäßige Tests: Um sicherzustellen, dass eine Website barrierefrei bleibt, sollten regelmäßig Tests mit automatisierten Tools (z. B. Lighthouse, Axe) sowie manuelle Überprüfungen (z. B. durch Screenreader-Nutzung) durchgeführt werden.

Was können also mögliche rechtliche Folgen bei Nichteinhaltung sein?

Falls die Anforderungen nicht erfüllt werden, drohen Sanktionen. Website-Betreiber können bspw.:

  • Beschwerden von Nutzern mit Behinderungen erhalten, die Schwierigkeiten beim Zugang zur Website haben.
  • Bußgelder oder andere rechtliche Maßnahmen durch Aufsichtsbehörden riskieren, insbesondere, wenn sie nicht rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, um ihre Website barrierefrei umzugestalten. Vergleiche zu anderen Maßnahmen und Gesetzen gibt es mit Blick auf die Impressumspflicht sowie DSGVO Richtlinien, bei denen potentielle Abmahnungen durch Dritte riskiert worden sind.

Was sind Ausnahmen?

Zwar werden beispielsweise kleine Unternehmen unter bestimmten Bedingungen von den strengen Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen, insbesondere wenn die Umsetzung unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht. Das soll im folgenden Teil betrachtet werden. Dennoch sollten natürlich auch kleine Unternehmen eine gewisse Barrierefreiheit anstreben, um potenzielle Kunden, Leser oder Interessierte nicht auszuschließen und rechtlichen Risiken vorzubeugen.

Kleine und mittlere Unternehmen

Kleine und mittlere Unternehmen sind in vielen Fällen von den strengen Anforderungen des EAA ausgenommen. Ein kleines Unternehmen wird in der EU als ein Unternehmen definiert, das:

  • weniger als 50 Mitarbeiter hat, und
  • einen Jahresumsatz von weniger als 10 Millionen Euro erwirtschaftet.

Diese Unternehmen sind also nicht verpflichtet, ihre Websites vollständig barrierefrei zu gestalten, da die Umsetzung der Vorgaben für sie unverhältnismäßig hohe Kosten oder unverhältnismäßigen Aufwand darstellen könnte. Dennoch wird empfohlen, dass auch sie bestmögliche Bemühungen unternehmen, ihre digitalen Inhalte barrierefreier zu gestalten, um potenzielle Kunden nicht auszuschließen und um auf freiwilliger Basis zur Barrierefreiheit beizutragen.

Unverhältnismäßige Belastung

Betreiber können von den Barrierefreiheitsanforderungen befreit werden, wenn diese eine unverhältnismäßige Belastung darstellen. Dafür müssen sie nachweisen, dass die Umsetzung die Ressourcen übersteigt oder im Vergleich zum Nutzen zu aufwändig ist. Eine Kosten-Nutzen-Analyse ist erforderlich, und die Ausnahme muss regelmäßig überprüft werden, da sich finanzielle oder technische Voraussetzungen ändern können.

Spezifische Inhalte oder bestimmte Zeiträume

Einige Inhalte sind von den Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen: Archivierte Inhalte, die vor dem Stichtag erstellt wurden und nicht mehr aktiv sind, Live-Inhalte (müssen aber nachträglich barrierefrei gemacht werden), und externe Inhalte, die von Dritten eingebettet werden und nicht unter direkter Kontrolle des Betreibers stehen.

Non-Profit-Organisationen

In einigen Fällen sind auch kleinere gemeinnützige Organisationen von den Anforderungen ausgenommen, insbesondere wenn sie lokal tätig sind, nur eine begrenzte Zielgruppe bedienen und wenige finanzielle Mittel haben. Diese Organisationen können ebenfalls argumentieren, dass die Umsetzung der Barrierefreiheit für ihre Online-Präsenz eine unverhältnismäßige Belastung darstellt.

Spezifische nationale Ausnahmen

EU-Länder können bei der Umsetzung des EAA zusätzliche, landesspezifische Ausnahmen für bestimmte Sektoren oder Organisationen festlegen, wobei die nationalen Regierungen die genauen Kriterien bestimmen.

Barrierefreiheit ist ein klarer Wettbewerbsvorteil

Website-Verantwortliche, die sich frühzeitig auf eine barrierefreie Darstellung ihrer Website einstellen, können einen klaren Wettbewerbsvorteil erlangen. Unternehmen, die barrierefreie Websites anbieten, verbessern nicht nur ihre Reichweite (weil sie für eine größere Zielgruppe zugänglich sind), sondern fördern auch ihre Markenwahrnehmung durch soziale Verantwortung.

Barrierefreiheit sollte nicht nur als gesetzliche Vorgabe, sondern auch als Chance gesehen werden, die User Experience (UX) für alle Nutzer zu verbessern. Viele Barrierefreiheitsmaßnahmen, wie klare Navigation, gute Lesbarkeit und ein gut durchdachtes mobiles Design, sorgen auch bei Nutzern ohne Behinderung für eine bessere Benutzererfahrung.

Bei Atelier Disko sind wir mit unserer Expertise genau auf diese Anforderungen eingestellt und verfolgen bereits seit Jahren einen möglichst barrierearmen Ansatz. Gern stehen wir zur Verfügung, sollten weitere Fragen aufkommen. Einfach eine Mail an info@atelierdisko.de

okay — tl;dr

Für viele Website-Betreiber und Agenturen bedeutet der European Accessibility Act 2025, dass sie sicherstellen müssen, dass ihre Websites barrierefrei sind und den Anforderungen der WCAG 2.1 entsprechen. Dies erfordert Schulungen, Anpassungen bestehender Websites und die Implementierung neuer Design- und Entwicklungspraktiken. Die Einhaltung der Vorgaben schützt nicht nur vor rechtlichen Konsequenzen, sondern bietet auch die Chance, mehr Menschen zu erreichen und eine bessere Nutzererfahrung zu schaffen.

(*1) Der EAA spricht formal von „Behinderung“, verfolgt jedoch einen weiten, inklusiven Ansatz, um Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen den gleichberechtigten Zugang zu digitalen und physischen Produkten sowie Dienstleistungen zu ermöglichen.

Link zum Essay von Franca:

https://atelierdisko.de/journal/barriere-freiheit-die-grenzen-des-internets

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31. März 2025
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